Epagneul de Saint Usuge
Der Jagdhund für alle Fälle
Gerry und die Freiheit
Im August 2013 werde ich zwei Jahre alt und habe seit Ostersonntag diesen neuen Chef. Bei unserer ersten
Begegnung hat er sich ganz brauchbar gezeigt und ich habe beschlossen ihn zu akzeptieren.
In meinem vorigen Leben wurde ich viel allein gelassen. Ich wurde stundenlang eingesperrt und war völlig
einsam. Das soll mir nicht noch einmal passieren. Darum habe ich mir vorgenommen, nicht mehr von der Seite
meines neuen Freundes zu weichen. Es ist zwar manchmal etwas mühsam ständig ein Auge auf ihn zu haben,
denn er ist immer unterwegs im Haus oder im Garten. Manchmal lohnt es sich aber, denn es gibt Momente, da
fällt etwas Fressbares für mich ab, weil ich gerade zur Stelle bin.
Jetzt habe ich es richtig gut getroffen, denn der neue Chef ist immer für mich da und nimmt mich überall mit.
Es bleibt ihm aber auch nichts anderes übrig, denn ich bin ständig bei ihm. Nur die Jägerei vom Chef macht
mir Sorgen. Der will Sachen von mir, die habe ich noch nie gemacht und deren Sinn verstehe ich nicht. Das
muß ich also alles noch lernen. Mache ich doch gern, denn es gibt jedes Mal was Leckers zu futtern.
Als ich in Bergheim im Wald war, sollte ich ein Karnickel suchen, das der Freund vom
Chef versteckt hatte. Da gibt es eine starke Duftspur auf der ich problemlos zum
Karnickel finde. Weil ich das Stück so gut gefunden habe, gibt es eine leckere
Belohnung. So geht das den ganzen Nachmittag. Das Spiel ist richtig gut. Manchmal
schnappe ich mir das Karnickel, bringe es zum Chef und lege es ihm vor die Füße.
Ich werde dann besonders gelobt, soll mich aber mit dem haarigen Ding im Maul
auch noch hinsetzen und es fest halten bis er “gib” gesagt hat. Das sehe ich nicht
ein, denn wie soll ich dann meine Belohnung fressen? Also, so richtig gefällt dem
Chef die Sache noch nicht. Und dann ist da noch der Freund vom Chef, der macht im
Hintergrund immer wieder kritische Bemerkungen. Das gefällt mir aber überhaupt
nicht, denn dann wird es immer schwieriger und ich muss ständig alles wiederholen. Er sagt dazu “üben”.
Dann kam meine erste Fahrt in den Spessart zur Jagd. Drei Stunden habe ich brav im Kofferraum zugebracht.
Ich dachte nach so einer langen Fahrt kommt bestimmt das ganz große Abenteuer. Nachdem wir uns bei
Freunden eingerichtet hatten, ging es in den Wald - natürlich wieder im Kofferraum. Jetzt geht es raus und das
schöne, nahrhafte Spiel mit dem Karnickel fängt an, dachte ich. Aber der Chef hat sich das leider anders
gedacht und ich bleibe für die nächsten Stunden im Kofferraum. Er geht einfach davon und verschwindet auf
einem Hochsitz. Der Trennungsschmerz ist zu groß und ich muß einfach laut Hals geben. Mein Geheule
vergrämt alles was in der näheren und weiteren Umgebung ist. Der Chef kommt zurück und findet das
unmöglich und will es mir schnellsten abgewöhnen. Er weiß aber noch nicht wie. Ich aber habe mein Ziel
erreicht - er ist wieder da.
Als es am nächsten Tag wieder in den Wald ging und ich wieder allein zurück bleiben sollte, habe ich es einfach
nicht mehr ausgehalten. Die schreckliche Zeit, als ich eingesperrt war, fiel mir wieder ein. Ich wollte meine
Freiheit.
Wenigstens auf den Fahrersitz wollte ich und aus dem Fenster schauen, bis der Chef wieder da ist. Über der
Rückenlehne versperrte ein Gitter den Weg zu dem bequemen Polstersitz. Zwischen Gitter und Rückenlehne
war ein breiterer Spalt. Da müßte es doch durchgehen! Der Kopf ging hindurch
und der Rest musste mit Strampeln, Kratzen, Reißen und Beißen auch noch
nachkommen. Die Lehne wurde dünner, der Schaumstoff und die Styroporteile
wurden im Kofferraum verteilt und ich konnte mich durchzwängen. Bald saß ich
auf dem Fahrersitz und freute mich auf den Chef. Ich schaute mir also
zufrieden die grüne Landschaft an und war richtig stolz auf meine Arbeit. Der
Frieden war aber schnell vorbei, als der Chef nach zwei Stunden wieder da war.
Da bekam mein Stolz aber einen gehörigen Dämpfer. Wie er mich hinter dem Lenkrad erblickte, hörte ich nur
einen Aufschrei “Wie kommt der denn da hin?”. Die Frage hätte ich ihm gern beantwortet, aber ich machte
mich lieber hinter dem Lenkrad ganz klein. Ein gefährlicher Unterton in seiner Stimme, ließ nichts Gutes
erahnen. Er beachtete mich aber nicht, rannte um das Auto herum, riss die Kofferraum-Klappe auf und
beförderte mich unsanft von meinem schönen Polster auf die nasse Wiese. Später musste ich wieder in den
Kofferraum springen, dem ich gerade mit so viel Mühe entronnen war. Da lag ich nun zwischen Stoff-,
Styropor- und Schaumstoffteilen, ergeben auf dem Rücken und bot ein Bild des Jammers. Dabei wollte ich
doch nur auch ein Stück von der Freiheit haben, die für ihn so selbstverständlich ist.
Es gab ein Donnerwetter, das ich schuldbewusst über mich ergehen ließ. Diesmal half mein zerknirschter
Anblick nicht. Er war richtig sauer und mir dämmerte langsam, dass meine mühsame Befreiung ihm einige
Kopfschmerzen bereiten würde. Rrrrums, der Deckel wurde zugeschlagen und ab ging die Fahrt zurück aus
dem Revier.
Unterwegs rief mein Chef seinen Freund in Bergheim an und bat um eine Lösung des Problems “Verlustangst”
Dabei muß er einen wunderbaren Tipp bekommen haben, denn beim nächsten Ansitz musste ich nicht im
Wagen bleiben, sondern konnte unter dem Hochsitz auf seiner Lodenkotze Platz nehmen. Ich wurde zwar
angeleint unter der Leiter abgelegt, hatte aber eine ganze Menge an Freiheit gewonnen.
Ich habe dann trotzdem den ersten Hasen, der zu dicht bei mir auftauchte, verfolgen wollen - die Leine hat
mich schnell gebremst und mir schöne Halsschmerzen eingebracht. Alles was jetzt noch dicht an mir vorüber
zog, habe ich nur gelangweilt angesehen. Selbst das flüchtige Reh wollte ich nicht verfolgen, denn der Hals
erinnerte mich schmerzhaft an meinen ersten Versuch. Später, als das Büchsenlicht weg war, der Chef über die
Leiter, zu mir herunter kam, wurde ich sehr gelobt. Es gab sogar eine dicke Belohnung weil ich so ruhig
geblieben war. Wir sind also wieder dicke Freunde.
Mein Ausbruch hat sich im Nachhinein gelohnt, denn ich habe viel Freiheit gewonnen und der Chef muß dafür
jetzt die Reparatur bezahlen.
Autor: Udo Weeser
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