Epagneul de Saint Usuge
Der Jagdhund für alle Fälle
Gerry und der Provokateur
Noch im Tiefschlaf wurde mir die Halsung umgelegt, der Chef griff zu Waffe, Glas und Jagdtasche. Ich landete
um vier Uhr in der Frühe bereits wieder im Kofferraum und ab ging es ins Revier. Es war stockdunkel und ich
hätte gern noch einige Runden geschlafen. Aber das konnte ich dann unter dem Hochsitz nachholen, denn ich
wurde auf zwei großen Teppichfliesen an einer Leiter angebunden und der Chef verschwand in der Kanzel....
Nach einiger Zeit schaute er aus einem Fenster auf mich herab und ich erwiderte seinen Blick. Wir verstehen
uns inzwischen fast ohne Worte. Er erwartet absolute Ruhe, denn dafür muss ich nicht mehr im Kofferraum
bleiben (was ich ihm ja sehr nachdrücklich abgewöhnt habe).
Dann war es lange sehr still. Kein Vogel sang. Der Wind trug mir aufregende Gerüche
zu. Und mich überkam doch der Trennungsschmerz, so dass ich leise fiepen musste.
Ich stellte mich auf die dritte Leitersprosse und schaute sehnsüchtig hinauf. Oben
tauchte der Kopf vom Chef auf. Er flüsterte „ablegen“ und machte das
entsprechende Handzeichen. Er war also noch da! Ich rollte mich zufrieden wieder
zusammen und schlief ein. Als ich aufwachte war es schon heller und ich konnte
endlich sehen wo ich gelandet war. Ich lag am Ende einer großen Waldwiese im Gras
und der Chef lauerte oben in der Kanzel auf die Rehe, die auf dem Rückwechsel aus
den Getreidefeldern, hier mal kurz Halt machen würden. Es kamen aber keine Rehe,
sondern Hasen und ein Fuchs. Aber alles der Reihe nach. Der Fuchs war von meinem
Anblick genau so überrascht wie ich. Er schnürte auf seinem morgendlichen Gang
den üblichen Pass entlang und stand plötzlich vor mir. Ich habe nicht lang überlegt
und einen gewaltigen Satz gemacht. Der Fuchs machte auch einen Satz nach
rückwärts und mich riss die Leine von den Läufen und die Teppichfliesen flogen ein
Stück weg.
Oben tauchte wieder der Kopf vom Chef auf: „ablegen!“ Ob er sich über den schnellen Fuchs gewundert hat,
der plötzlich unter der Kanzel hervor kam?
Später kam der Hase. Er tauchte links von mir auf und wollte, ohne mich zu beachten, eilig an mir vorbei
hoppeln. Das war direkt vor meiner Nase und zu viel für meine Nerven und ich machte wieder einen Satz. Ich
kam natürlich nicht weit und der Hase war weg.
Oben erschien wieder der Chef mit dem bekannten Befehl: “ablegen!“ Also wieder auf meine Teppichfliesen und
dem Hasen nachgeschaut , der über die ganze Lichtung hoppelte und am gegenüberliegenden Waldrand
verschwand. Es wurde immer heller. Es wurde wärmer. Ein kühler Wind brachte noch mehr interessante
Gerüche. Überall waren fremde Geräusche. Hier war es wirklich besser als im Kofferraum!
Plötzlich kam der Hase wieder zurück. Er hoppelte auf seiner alten Fährte wieder direkt auf mich zu. Kurz vor
mir wurde er provozieren langsam und verschwand nach rechts im Gebüsch. Da war aber diesmal Beherrschung
angesagt. Da mein Hals noch vom ersten Sprungversuch schmerzte, schaute ich dem Krummen nur
gelangweilt nach.
Inzwischen war es Tag geworden. Der Chef nahm ab und zu Augenkontakt mit mir auf und alles blieb ruhig.
Rehe waren keine zu sehen nur der verführerische Hase. Der tauchte wieder vor mir auf und begann nach
schmackhaften Kräutern zu suchen. Dabei kam er wieder immer näher und näher. Dann machte er einen Kegel,
schaute mich lange an als wäre ihm erst jetzt die Gefahr bewusst geworden, in der er die ganzer Zeit schwebte.
Ich blieb ruhig und träumte vor mich hin als es im trockenen Gras zu rascheln begann.
Ob das schon wieder der vertrackte Hase war? Tatsächlich. Da saß er wieder und mümmelte im Gras vor mir
herum. Ob der weiß, dass ich angeleint bin? Ich musste mich einfach mal aufsetzen und herzhaft gähnen. Als
der Hase plötzlich mein weißes Gebiss erblickte und meinen schauerlichen Seufzer zu hören bekam, wurde er
sehr schnell und verschwand auf nimmer Wiedersehen.
Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los die ganze Zeit beobachtet zu werden, denn mein Chef lobte meine
Beherrschung sehr ausgiebig. Ich bekam wieder einige der begehrten Leckerlis und seinen Jagdfreunden
berichtete er über den Erfolg seiner Ausbildung.
Wenn mein Chef gewusst hätte, dass ich noch immer heftige Halsschmerzen hatte.
Autor: Udo Weeser
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