Epagneul de Saint Usuge
Der Jagdhund für alle Fälle
Gerry auf der Hundewiese
Es liegt am Geruch
Morgens um 9.00 Uhr und abends gegen 16.00 Uhr gehe ich mit dem Chef den täglichen „Lösegang“.
Von allen Seiten kommen Herrchen und Frauchen mit ihren Vierbeinern. Man findet alle möglichen Rassen und alle
möglichen Duftmarken. Manchmal sind auch “heiße Mädels” dabei. Dann gibt es regelmäßig Stress mit dem Chef. Der
bekommt diesen anziehenden Geruch ja nicht in seine Menschennase. Den treiben seine Gene ja auch nicht dazu, unbedingt
die Verursacherin dieses vielversprehenden Duftes zu finden. Wenn nur die dumme Leine nicht wäre!
Auf der großen Wiese darf ich frei meinen Neigungen folgen, Karnickelfährten verfolgen oder ein Fasanengeläuf
überprüfen. Manchmal kann ich sogar eine Katze auf den nächsten Baum scheuchen. Aber das ist alles nichts gegen diese
herrlichen Duftmarken des Mädels. Ganz tief die Nase in den Grasbüschel, jeden einzelnen Halm auf Spuren untersuchen
und etwas mit der Zunge aufnehmen. Das führt dann automatisch zu heftigem Unterkieferklappern, weil mich einfach ein
starkes Verlangen packt. Die dann entstehende Schaumbildung quittiert der Chef immer mit der Bemerkung: “Der sieht wie
ein rauschiger Keiler aus”. Er hat in dieser Beziehung keine besondere Meinung von mir und meint, ich würde auf alles
springen, was mir nicht schnell genug die Zähne zeigt.
Habe ich auf der Wiese eine weibliche Duftspur aufgenommen, dann muss
sie verfolgt werden, denn an ihrem Ende könnte “sie” ja auf mich warten. Der
drohende Pfiff schreckt mich dann nicht mehr ab, besonders wenn ich aus
der Reichweite der Leine bin ---- aber der Chef ist ja auch nicht mehr der
Schnellste. Es sind aber auch süße Mädels da: von der niedlichen
französischen Dogge bis zur heißen Schäferhündin wird alles von mir
bearbeitet - wenn man mich nur lassen würde!
Es ist also klar, dass ich zwingend auf die Einhaltung der Ausgehzeiten
dringen muss. Sollte der Chef das mal vergessen, habe ich Mittel und Wege
ihm das klar zu machen.
Regen, Wind und Matsch können mich nicht schrecken, aber der Chef wird bei solchen Wetterbedingungen doch
manchmal etwas grüblerisch.
Ich kenne jetzt fast alle Frauchen und Herrchen und die dazugehörigen vierbeinigen Jungs und Mädels. Die Jüngeren
toben mit mir über das Gelände, die jagdlich Interessierten suchen mit nach Karnickeln und die Ältern ignoriere ich einfach,
denn mit denen kann ich nichts anfangen. Wir kommen alle gut miteinander aus, denn es gibt keine Rangordnung, die man
verteidigen müsste.
Aber manchmal kommt eben was Neues. Die neuen Mädels werden kurz getestet, kommen auf meine Warteliste und der
Fall ist erledigt. Kommt dann aber eine Rpde und der hat auch noch so ein Machogehabe, dann sieht die Sache schon anders
aus. Der ist ja schließlich ein potenzieller Konkurrent. Man schleicht erst einmal steifbeinig umeinander, man prüft die
rückseitige Ausweiskarte, dann stellt man sich Nase an Nase. Sind die festgestellen Kennzeichen sympathisch, geht man
seiner Wege. Stellt man aber schon den jetzt kommenden Ärger fest, wird leicht geknurrt und die Rückenhaare werden
aufgestellt.
In diesen Momenten ist der Chef dann da und die Chefin
des Gegners. Wir werden am Halsband auseinander gezogen
und können jetzt erst richtig loslegen. Es wird sich in die Leine
gestemmt, auf die Hinterbeine gestellt und gegiftet was das
Zeug hält. Ist der zukünftige Gegener dann abgezogen, wendet
man sich wieder wichtigeren Dingen zu.
Aber dieser unfreundliche Kerl, der in meinem Revier absolut
nichts zu suchen hat, wird für spätere Begegnungen
vorgemerkt. Man sieht sich ja bekanntlich immer zweimal und
auf meiner Wiese noch öfter.
Vor einigen Wochen erschien ein jüngerer Labradorlümmel mit einem kleinen fülligen Frauchen ander Leine. Der roch
schon aus der Ferne so unsympathisch. Als beide näher kamen, stellte ich gleich warnend meinen Kamm auf und brummte
leise. Das Frauchen meinte darauf hin: “Ja, was ist das denn? Die kennen sich ja noch nicht. Was hat der der Kleine (welche
Beleidigung!) gegen meinen süßen Hund?”
Seit dieser Begegnung mochte ich Frau und Hund nicht mehr.
Bei der nächsten Begegnung lief dieser “Balu” doch tatsächlich auf meiner Wiese herum und von ihr war nichts zu sehen.
Bevor mein Chef die Sachlage erkannte, hatte ich ein Büschel weißer Haare zwischen den Zähnen und Balu gab Fersengeld
und suchte Zuflucht bei ihr. Ich wurde, was ich absolut nicht verstehen kann, zurückgepfiffen, ausgeschimpft und angeleint.
Mein Sieg sollte allerdings Folgen haben, denn der andere hatte auch ein gutes Gedächtnis.
Heute haben wir wieder einen ausgedehnten Gang durch unser Reich gemacht. Eine Schäferhündin, eine Hundedame in
Gestalt eines Tibet - Terriers, ein kastrierter Beagle, eine bereits interessant riechende junge Mischlingshündin und ich. Auf
dem Rückweg wollte der Chef mir etwas Gutes tun und ging mit mir noch einmal an den Rand der großen Wiese mit den
Büschen voller Karnickelbauten. Doch wir kamen nicht weit, denn in der Ferne tauchte dieser Balu wieder auf. Mein Chef
packte sofort mein Halsband, die Leine wurde stramm gezogen und ich stand bei “Fuß”. In der Ferne hörte ich das Frauchen
schreien, denn Balu trabte gezielt auf mich los. Wir standen bald Seite an Seite. Mein Chef klopfte Balu den Rücken und
redete beruhigend auf uns ein. Steifbeinig, mit gestreckter Rute, ein Kamm auf denm Rücken und knurrend standen wir
nebeneinander, zwischen den Beinen vom Chef, der uns auseinander halten wollte. Aber er hatte die Rechnung ohne unsere
gegenseitige Abneigung gemacht. Ich hatte an der Leine noch etwas Bewegungsfreiheit und erwischte den größeren Gegner
an Bein und Flanke. Er wiederum hatte mich im Genick. Das half ihm aber nichts, denn er hatte immer nur das breite
Lederhalsband mit den schönen Metallenten im Fang. Mein Chef unterstützte mich nach Kräften, hatte den anderen am
Kragen, drehte ihm mit dem Halsband die Luft ab und versuchte ihn von den Vorderläufen zu heben. Wir bissen aber weiter
wild aufeinander ein und die Trennungsversuche waren zwecklos. Ich glaube, für kurze Zeit hatte ich sogar etwas zwischen
den Zähnen, das nach Stoff schmeckte und nicht nach Labrador.
Inzwischen war die schreiende Chefin von Balu aufgetaucht, befestigte ihn an der Leine und zog ihn außer Reichweite
meiner Zähne. Mit vielen Entschuldigungen und dem Hinweis, dass Sie für alle Kosten aufkäme, zogen beide davon.
Später wurde ich vergeblich auf Beschädigungen untersucht. Mein Chef aber hatte etwas abbekommen, denn auf seinem
Oberschenkel hatten meine Zähne rote Eindrücke hinterlassen. Jetzt befragte mein Chef schnell seinen Impfpass, bestrich
dann die Wunden mit einer roten Paste und deckte alles mit einem Pflaster ab.
Ich muss den Chef loben, denn wir hatten als Team gut zusammen gearbeitet. Was wäre geschehen, wenn er mich einfach
von der Leine gelassen hätte? Jedenfalls muss er einen Entschluss gefasst haben, denn er hat neuerdings immer seinen
“Treiber-Ehrenstock” dabei. Auf der Hundewiese hat sich unser Zweikampf sofort herumgesprochen und dass der Chef
gebissen wurde. Der Stützstock wird jetzt allgemein als Gehilfe wegen des schlimmen Hundebisses gedeutet.
Autor: Udo Weeser
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